Alle Daten sind gleich – dafür steht Netzneutralität.
Um diesen sperrigen Begriff in ein sprechendes Bild zu packen, ziehe ich mehrere Metaphern heran: Wenn auf der Datenautobahn namens Internet die Netzneutralität gilt, sind alle zu transportierenden Pakete einander gleichgestellt. Konkret bedeutet das: Es gibt keine Daten-Mautstellen, keine „Inhaltesteuer“. Somit kommt es zu keiner Diskriminierung von Inhalten.
Übersicht
1. Was die Netzneutralität auszeichnet
2. Die Netzneutralität auf dem Prüfstand
3. Mögliche Konsequenzen, sollte die Netzneutralität hinfällig werden
4. Der berechtigte Neid der Internetprovider
5. Technische Standards forcieren eine Abschaffung der Netzneutralität
6. Wie ist die Lage in Deutschland und Europa?
8. Weiterführende Links zum Thema
Diese umfassende Datenautobahn-Infrastruktur wird von verschiedenen Internetprovidern (bzw. Internetanbietern) gewartet und ausgebaut. Neben dem unvoreingenommenen Daten-Transport obliegt es den Internetprovidern, die Anbindung an die Datenautobahn sicherzustellen (Konnektivität), damit alle Unternehmen und Internet-Benutzer gleichermaßen Daten auf die Reise schicken oder in Empfang nehmen können. Die Anbindung kann etwa in Form von Funktechnik, Standleitungen oder Breitbandzugängen erfolgen. Zu den namhaften Internetprovidern in Deutschland gehören unter anderem die Telekom, Vodafone oder Unitymedia.
Allerdings sahen sich die Internetprovider schon seit jeher beim „Verkehrsmanagement“ gezwungen, Dienste in Kategorien zu unterteilen und zu priorisieren, weil das gesamte Datenaufkommen zu hoch war – oder die zur Verfügung stehende Bandbreite(n) zu gering, da der Ausbau nicht mit dem wachsenden Datenvolumen Schritt hielt.
»Absolute Netzneutralität gilt schon heute nicht und hat noch nie gegolten. Denn die Anbieter können auch jetzt entscheiden, ob sie bestimmte Dienste im eigenen Netz priorisieren.«
Entscheidend hierbei ist, dass sämtliche Dienste einer Kategorie (z.B. Internet-Telefonie oder Video-Streaming) wiederum einander gleichgestellt sein müssen, so dass keine Wettbewerbsnachteile entstehen. So sind Internet-Telefonate auf schnelle Übertragungswege angewiesen, haben aber ein relativ geringes Datenvolumen. Bei Streaming-Diensten ist es genau umgekehrt. Deshalb ist es sinnvoll, die Internet-Telefon-Dienste gegenüber den Streaming-Diensten bei der Datenübertragung zu bevorzugen. Auf diese Weise können beide Dienstleistungskategorien – Internet-Telefonie und Video-Streaming – funktionstüchtig betrieben werden, ohne dass es zu einem Datenstau oder zu einer gravierenden Benachteiligung kommt.
Was die Netzneutralität auszeichnet
Dem Grundsatz der Netzneutralität ist es zu verdanken, dass das Internet in den vergangenen Jahrzehnten einen solchen Boom erlebt hat. So konnte sich ein Start-up-Unternehmen wahlweise einige Server beschaffen oder anmieten, an das Internet anschließen und ihre Produkte und Dienstleistungen umgehend einem breiten Publikum zugänglich machen. Für den Internet-Benutzer hat dies ebenfalls Vorteile, kann er sofort von den neuen Produkten und Dienstleistungen profitieren. So bekommt alles, was ins Internet „gestellt“ wird, rein theoretisch dieselben Chancen eingeräumt.
Die Netzneutralität auf dem Prüfstand
Warum ich diesen Artikel schreibe? Weil seit geraumer Zeit am Konzept der Netzneutralität gerüttelt wird.
Ausgerechnet in den USA, der Wiege des Internets, trat im Dezember 2017 ein Beschluss in Kraft, der die Netzneutralität aushebelt. Die Internetprovider, die sich für den Erhalt und Ausbau des Internets verantwortlich zeichnen, bekamen das Recht zugesprochen, fortan nach eigenem Gutdünken über die Inhalte und deren Qualität bestimmen zu dürfen, die diese Infrastruktur nutzen wollen. Aus Datenautobahn-Infrastrukturbetreibern wurden somit Datenautobahn-Verwalter (Quelle: FAZ.NET).
Mögliche Konsequenzen, sollte die Netzneutralität hinfällig werden
Inwiefern eine solche Entwicklung zulasten der Internet-Benutzer gehen kann, erlebt man heutzutage bereits auf Kreuzfahrtschiffen. Dort ist es üblich, dass Pakete hinzu gebucht werden müssen, um bestimmte Internet-Dienste nutzen zu können. Du willst auf Facebook, Instagram und anderen Social Media-Kanälen unterwegs sein? Dann buche das Social Media-Bundle. Du willst YouTube-Videos oder Netflix-Serien anschauen? Dann buche das Streaming-Bundle. Du willst uneingeschränkt surfen? Dann musst du eben das teuerste Paket hinzu buchen (dieser Artikel gibt einen guten Einblick).
Dort, wo bislang uneingeschränkter, unvoreingenommener Verkehr auf der Datenautobahn geherrscht hat, finden sich nun Maut-Stellen, an denen eine Gebühr entrichtet werden muss, um überhaupt mitspielen zu dürfen. Wer nicht zu zahlen bereit ist, muss eben Nachteile und Einschränkungen in Kauf nehmen. Während die einen also ihre Daten auf dem Express-Highway auf den Weg schicken oder empfangen können, nehmen andere mit dem Schotterweg und Qualitätseinbußen vorlieb.
Ein weiteres Beispiel: Von diversen Mobilfunk-Anbietern werden schon heute sogenannte „Zero-Rating-Tarife“ angeboten. Dabei handelt es sich um Pakete, bei denen bestimmte Internet-Inhalte vom Datenvolumen-Kontingent ausgenommen werden – gegen Aufpreis, versteht sich (hierzu ein Artikel auf GOLEM.DE). Auf diese Weise verbrauche ich nicht mein gesamtes Datenvolumen, wenn ich mir z.B. Videos anschaue oder im Social Media-Umfeld unterwegs bin. Ob es sich hierbei bereits um Angebote handelt, die die Netzneutralität aushebeln, ist noch nicht abschließend geklärt.
Aber nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen wären von solch einer Entwicklung betroffen: Wessen Produkte und Dienstleistungen nicht in entsprechenden Paketen enthalten ist, muss damit rechnen, dass deutlich weniger Kunden davon Gebrauch machen werden – aus dem einfachen Grund, weil die Nutzung mit finanziellen Nachteilen behaftet ist oder zu Lasten des eigenen Datenvolumens geht. Insofern wäre die Abschaffung der Netzneutralität für Start-ups eine Katastrophe, müssten sie sich bei diversen Internetprovidern zunächst „einkaufen“, um gegen die etablierten Konkurrenten überhaupt bestehen zu können.
»Ohne Netzneutralität ist es den Internetzugangsanbietern daher grundsätzlich wieder erlaubt, bestimmte Dienste nur deswegen zu bevorzugen, weil die jeweiligen Dienstanbieter dafür ein zusätzliches Entgelt an den Internetanbieter gezahlt haben.«
Damit wird Neueinsteigern eine weitere Hürde in den Weg gelegt, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass innovative Produkte und Dienstleistungen, die auf das Internet angewiesen sind oder darauf aufbauen, gar nicht erst den Markteintritt schaffen. Weniger Innovation und Vielfalt wäre also die Folge, während die ohnehin schon starke Tendenz zu monopolistischen Ausprägungen im Internet vorangetrieben würde. Beides kann nicht in unserem Interesse sein.
Der berechtigte Neid der Internetprovider
Irgendwie ist der Groll, den die Internetprovider in den USA auf die IT-Konzerne verspüren, aber durchaus nachvollziehbar. Ich meine: Sie sind diejenigen, die die Datenautobahn warten und ausbauen müssen, damit aber kaum Profit machen. Auf der anderen Seite sind da die Unternehmen und Konzerne, die satte Gewinne einstreichen, eben weil sie die bereitgestellte Infrastruktur uneingeschränkt nutzen dürfen. Warum sollten die Internetprovider nicht auch von diesen Gewinnen profitieren? Schließlich haben sie durch ihre Vorarbeit diesen Erfolg erst ermöglicht, also sozusagen den Grundstein hierfür gelegt. Ich spreche dabei nicht nur von Facebook, Google und Amazon, sondern auch von Netflix & Co., die unglaubliche Datenmengen über die Datenautobahn schicken.
Zumindest in den USA darf angenommen werden, dass auch Eigeninteressen bei der Abschaffung der Netzneutralität eine Rolle spielen. So verfügen einige Provider über eigene Video-Streaming-Dienste. Indem sie ihren Angeboten bevorzugten Zugang zur Datenautobahn einräumen, können sie sich Vorteile gegenüber ihrer Konkurrenz verschaffen.
Natürlich wird von den Internetprovidern gerne als Argument ins Feld geführt, der teure Ausbau der Glasfasernetze müsse irgendwie finanziert werden. Andernfalls herrsche beim Thema Digitalisierung weiterhin Stillstand, so die unterschwellige Drohung.
»Zumindest deuten die bisherigen Forschungsergebnisse darauf hin, dass Netzneutralität tendenziell zu einer Verlangsamung der Investitionen in schnelle Internetzugänge führt.«
Das klingt zwar einleuchtend. Aber dass es auch ohne Abschaffung der Netzneutralität möglich ist, die Investitionen für Glasfaseranschlüsse zu stemmen, stellen zahlreiche Länder in Europa eindrucksvoll unter Beweis. Anstatt nach faulen Ausreden zu suchen, werden dort Partnerschaften und Kooperationen eingegangen oder es erfolgt eine wettbewerbsfördernde Regulierung durch die Politik. Wo ein Wille ist, ist eben auch ein Weg! Dass es bei uns schon seit Jahren am Willen hapert, wird im EU-weiten Vergleich besonders deutlich, bei dem Deutschland mit rund zwei Prozent zu den Schlusslichtern bei den Glasfaserkabel-Anschlüssen gehört (Quelle: FAZ.NET). Denn selbst wenn die Internetprovider das Versprechen abgeben, den Ausbau voranzutreiben, sobald die Gelder zu sprudeln anfangen, so trifft häufig das genaue Gegenteil zu. Warum investieren, wenn ich mit der bestehenden Infrastruktur mehr als genug Profit erwirtschaften kann?
Technische Standards forcieren eine Abschaffung der Netzneutralität
Aber nicht nur die Internetprovider haben ein hohes Interesse daran, die Netzneutralität aufzuweichen oder abzuschaffen. Auch der neueste Mobilfunkstandard der fünften Generation, kurz 5G, forciert diese Entwicklung. Die neueste Technik kann nicht nur erheblich größere Datenmengen transportieren, sondern ist zudem in der Lage, das Netz virtuell in viele Tausend einzelne „Leitungen“ zu zerschneiden. Das genannte Verfahren wird in Fachkreisen auch als „Network Slicing“ bezeichnet und ist umstritten, weil es eben aufgrund seines Ansatzes die Netzneutralität infrage stellt.
Wie ist die Lage in Deutschland und Europa?
Selbst auf dieser Seite des Atlantiks gehen die Meinungen auseinander. Während das EU-Parlament ganz klar für die Netzneutralität eintritt, spricht sich die EU-Kommission eher dagegen aus (Quelle: ZEIT ONLINE).
Wenn es nach der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel geht, wäre die Netzneutralität wohl schon längst Geschichte. Bereits 2014 äußerte sie öffentlich, dass ihrer Ansicht nach eine ungleiche Behandlung von Daten notwendig sei, um gewisse Innovationen zu fördern. In diesem Zusammenhang nannte sie das autonome Fahren und die Telemedizin (Quelle: ZEIT ONLINE). Die viel entscheidendere Frage, ob selbstfahrende Autos überhaupt von einer Internetverbindung abhängig sein sollten, stellte sie hingegen nicht.
Außerdem ist davon auszugehen, dass die Internetprovider in Europa nun fleißig Lobbyismus betreiben werden, um ihren US-amerikanischen Marktbegleitern nachzueifern. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Entwicklung über den Atlantik zu uns herüberschwappt.
Fazit
Wir stellen fest: Die Gegner der Netzneutralität haben sich schon in Stellung gebracht. Technische Vorkehrungen, um die Abschaffung der Netzneutralität umzusetzen, sind bereits vorhanden. Noch hält das EU-Parlament seine schützende Hand über den Grundsatz, der das Internet groß und erfolgreich gemacht hat. Aber wie lange noch? Es liegt an uns, den gewählten Politikern – sowohl im Bundestag als auch im EU-Parlament – klarzumachen, dass wir die Netzneutralität wertschätzen und wir die Ansicht vertreten, dass diese Errungenschaft unbedingt erhalten bleiben muss.
Eines ist gewiss: Wenn wir es nicht tun, sind wir diejenigen, die am Ende die Rechnung präsentiert bekommen und mit den damit verbundenen Nachteilen leben müssen. Lassen wir es gar nicht erst so weit kommen!
Weiterführende Links zum Thema:
YouTube-Video „Steam wird kostenpflichtig… in einer Welt ohne Netzneutralität :P“ von PietSmiet
YouTube-Video „Netzneutralität – Warum ist sie wichtig? – heuteplus | ZDF“ von ZDF