Von der Idee zum Buch – zwei Herangehensweisen

Von der Idee zum Buch - Die Entstehung einer Geschichte

Eine der beliebtesten Fragen an Autoren lautet: Wie ist die Geschichte zum Buch eigentlich entstanden?

Die Antwort darauf ist meist dieselbe: Ein magischer Moment der Inspiration genügte, um den inneren Drang übermächtig werden zu lassen, seine Idee aufs Papier zu bringen. Oft reicht schon ein kleiner Funke als Impulsgeber aus. Plötzlich haben die „Betroffenen“ keine andere Wahl, als sich mit ihren Einfällen und Gedanken auseinanderzusetzen. Dies garantiert aber nicht, dass daraus auch irgendwann eine Veröffentlichung hervorgeht. Bis dahin ist es in der Regel ein langer, beschwerlicher Weg.

Was ist also zu tun, wenn man von einer Idee gepackt wird? Spätestens an diesem Punkt wünschen wir uns eine Art Anleitung, die uns dabei hilft, den Übergang zum eigenen Roman zu erleichtern. Deshalb gebe ich euch eine kleine Anleitung zur Hand.

Der Ausgangspunkt ist entscheidend

Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Ausgangspunkte, um eine Idee zu einer ausgereiften Geschichte weiterzuentwickeln. Ausschlaggebend ist dabei das Kernelement der Idee. Daher sollte die allererste Frage lauten: Hatte ich eine Figur vor Augen, die eine maßgebliche Rolle in der Handlung einnimmt? Oder schwebte mir vielmehr eine Szene vor, die einen Schlüsselmoment oder Wendepunkt der Geschichte skizziert?

Charakter-zentrierter Ansatz vs. plot-zentrierter Ansatz

Von der Idee zum Buch - Zwei konkurrierende Ansätze

Es ist fast schon eine Legende, wie „Harry Potter“ das Licht der Welt erblickte. Die Schöpferin des Zauberers mit der blitzförmigen Narbe auf der Stirn, Joanne K. Rowling, saß damals in einem Zug, der von Manchester nach London fuhr und Verspätung hatte. Dort kam ihr nicht nur Harry Potter mit allen Einzelheiten in den Sinn, sondern auch die beiden Protagonisten Ronald Weasley und Hermione Granger (Quelle: Business Insider Deutschland). Dies war der Startschuss für eine der erfolgreichsten Buchserien überhaupt.

Der Autor Marc Elsberg näherte sich der Handlung seines Romans „Blackout“ auf andere Weise an:

»Seit Jahren fasziniert mich die zunehmende Vernetzung in unserer globalisierten Welt – also die Tatsache, dass mehr denn je alles mit allem zusammenhängt. Irgendwann fragte ich mich: Was passiert, wenn ein Glied dieser Netze ausfällt? Oder gleich mehrere? Von dort war es nicht mehr weit zum Thema „kritische Infrastrukturen“.«

Marc Elsberg im Interview auf der Webseite zum Buch „Blackout“

Bei Elsberg diente demnach das Thema der Geschichte als Ausgangspunkt. Ihm war es ein Anliegen, seinen Leserinnen und Lesern die Anfälligkeit unserer Gesellschaft für kritische Infrastrukturen vor Augen zu führen.

Das weitere Vorgehen

Die Idee ist geboren, doch wie geht es danach weiter?

Wir ahnen: Lebendige Charaktere als Identifikationsfiguren reichen allein nicht aus. Genauso wenig genügt ein spannender Plot, wenn es an Figuren mangelt, für die sich eine breite Leserschaft begeistern kann.

Im Beispiel von Joanne K. Rowling vergingen fünf Jahre, bis der erste Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“ schließlich vollendet war. Zwar hatte die Autorin zwischen 1990 und 1995 mit mehreren Schicksalsschlägen zu kämpfen – aber wir können auch davon ausgehen, dass es einfach Zeit brauchte, die Welt der Hexen und Zauberer rund um Hogwarts zu erschaffen. Und einen roten Faden zu finden, der sich durch sämtliche sieben Werke der Heptalogie zieht.

An dieser Stelle möchte ich euch eine Vorgehensweise vorstellen, die den Übergang von der Idee zum Buch erleichtern kann. Die beschriebenen Schritte stammen dabei nicht allein von mir, sondern lehnen sich an Vorschläge an, die ich in verschiedenen Schreibratgebern und anderen Artikeln gefunden habe und als sinnvoll erachtete.

Von der Idee zum Buch - 4 Schritte, um Struktur in die eigene Geschichte zu bringen

Schritt 1: Formulierung der Prämisse

Die Prämisse bestimmt, um welches zentrale Thema der Roman kreist. Dabei handelt es sich zugleich um jene These, die in der Geschichte bewiesen werden soll. Und all das – die Essenz eures Werkes, wenn man so will – soll in einem einzigen Satz gebündelt werden! Hier zwei Beispiele zum besseren Verständnis:

Harry Potter: „Allein durch Liebe und Freundschaft wird am Ende das Böse besiegt.“

Blackout: „Wenn die Stromversorgung in Europa eine Woche lang ausfällt, hört unsere moderne Welt auf zu existieren.“

Dabei fällt auf: Die Prämisse von Harry Potter ist deutlich unspezifischer als diejenige von Blackout und ließe sich auf eine Vielzahl anderer Geschichten anwenden. Allerdings handelt es sich hierbei um meine persönliche Interpretation, die nicht ohne jeden Zweifel erhaben ist. Möglicherweise kommt ihr zu einer ganz anderen Einschätzung. Das ist auch völlig in Ordnung. Hauptsache, ihr konntet im Buch eine Prämisse ausmachen. Ohne Prämisse ist der Roman nämlich seines Daseinszwecks beraubt. Lasst es nicht so weit kommen! Folgende Fragen können euch helfen, diesen Lapsus zu vermeiden:

  • Was war der Auslöser, der Grundgedanke meiner Geschichte?
  • Um welches zentrale Thema soll es in meiner Geschichte gehen?
  • Warum ist es die Geschichte wert, erzählt zu werden?

Falls ihr darauf zufriedenstellende Antworten gefunden habt, so behaltet diese im Hinterkopf und lasst sie in eure Prämisse einfließen. So vermeidet ihr es, beim Schreiben auf Abwege zu geraten, die eure Geschichte mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Sackgasse enden lassen.

Schritt 2: Festlegung des Genres

Um was für eine Geschichte handelt es sich bei eurem Buch? Ist es eine fiktionale Geschichte? Eine Liebesgeschichte? Ist sie eher dem Bereich Science-Fiction, Krimi, Thriller oder Fantasy zuzuordnen? Die Frage des Genres sollte keineswegs leichtfertig abgetan werden, bestimmt es doch wichtige Rahmenbedingungen für eure Handlung.

Tendenziell werdet ihr euch in jenem Umfeld bewegen wollen, das euren Lesevorlieben entspricht. Warum nicht einen Fantasy-Roman schreiben, wenn man am liebsten zu Fantasy-Büchern greift? Dies hat den unschätzbaren Vorteil, dass man bereits weiß, auf was die Leserschaft Wert legt und auf welche genretypische Weise die eigene Geschichte erzählt werden kann. Das Schreiben geht dann wahrscheinlich leichter von der Hand. Allerdings gilt es abzuwägen, ob nicht eventuell eine Mischform aus verschiedenen Genres die bessere Wahl ist.

Beispiel: In „Drohnenland“ von Tom Hillenbrand kommt der Kommissar während einer Mordermittlung einer gewaltigen Verschwörung auf die Schliche. Obwohl es sich eigentlich um einen typischen Science-Fiction-Roman handelt, wird der Roman dennoch als Kriminalroman angepriesen. Tatsache ist: Die Mischung aus Science-Fiction und Krimi ermöglicht es der Handlung, das ganze darin schlummernde Potenzial zu entfalten. Und genau das macht wiederum den Reiz dieses Buches aus.

Als weiteres Beispiel sei das „Romantasy“-Genre genannt, bei dem es sich um romantische Liebesgeschichten handelt, die mit fantastischen Elementen versehen sind oder gar in einer fantastischen Welt spielen.

Tatsächlich unterwerfen wir uns mit der Wahl des Genres gewissen Gesetzmäßigkeiten, die es nicht außer Acht zu lassen gilt. Das betrifft nicht nur eure Geschichte, sondern auch eure Zielgruppe. Wird das jeweilige Genre unter Umständen eher von Frauen oder Männern gelesen? Sprechen Thema und Handlung eher eine junge oder ältere Leserschaft an? Diese Fragen müssen gegeneinander abgewogen werden, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, dass es in erster Linie darum geht, eure Geschichte möglichst unterhaltsam zu erzählen!

Schritt 3: Festlegung des Settings

Unter Setting versteht man das Umfeld, den Hintergrund eurer Handlung.

Wer aufgepasst hat, wird jetzt einwenden: Habe ich den Schauplatz nicht bereits über die Wahl des Genres eingegrenzt? Ja, das ist durchaus zutreffend! Ein Science-Fiction-Roman wird vermutlich in einer (nicht allzu weit entfernten) Zukunft spielen. Aber er könnte sich ebenfalls in der Gegenwart oder gar in der Vergangenheit (Zeitreisen!) zutragen.

Und wie sieht es mit dem Umfeld aus? Handelt es sich um die reale oder eine frei erfundene Welt (Non-Fiktion vs. Fiktion)? Trägt sich die Geschichte in einer Großstadt, in einem Haus oder in einer Höhle zu? Mit welcher Kultur, mit welchem Wertesystem haben wir es zu tun? Wie wird dadurch das Denken und Handeln der Charaktere beeinflusst? All diese Fragen – und noch viele mehr – verlangen nach Antworten. Doch die allerwichtigste Frage lautet:

Welche Bühne muss ich für meine Charaktere erschaffen, damit ich meine Geschichte möglichst vortrefflich erzählen kann?

Schritt 4: Weben des „roten Fadens“ & Charakterentwicklung

An dieser Stelle wird bereits der Handlungsablauf im Detail ausgearbeitet. Spätestens jetzt nimmt die Entwicklung der Hauptfiguren einen großen Stellenwert ein. Welcher Charaktere bedarf es, um die einzelnen Kapitel mit Konflikten und geschliffenen Dialogen zu füllen? Wie müssen die Protagonisten und Antagonisten beschaffen sein, um das allgegenwärtige Ringen mit der zentralen These (siehe Schritt 1: Prämisse) herauszuarbeiten? Welche Meilensteine müssen die Charaktere durchlaufen, damit die Handlung vorankommt?

An den Fragen werdet ihr merken: Spätestens hier geht es ordentlich zur Sache. Meistens müsst ihr an dieser Stelle nachsetzen, wenn ihr merkt, dass sich Unstimmigkeiten in eure Erzählung eingeschlichen haben.

Alles eine Frage der Perspektive

Ihr werdet jetzt zu Recht anmerken: Die beschriebene Vorgehensweise lässt sich doch nur auf den plot-zentrierten Ansatz anwenden. Das stimmt. Diejenigen, die den charakter-zentrierten Ansatz bevorzugen, sollten die genannten Schritte in der umgekehrten Reihenfolge abarbeiten. Dabei ist nicht die Einhaltung der Reihenfolge entscheidend, sondern dass sämtliche Schritte an irgendeinem Punkt durchlaufen und gewissenhaft abgearbeitet werden.

Wie war das bei „Die Chronik von Calveron: Der Absolvent“?

Ich gehöre zu jenen Schreiberlingen, die den plot-zentrierten Ansatz favorisieren.

Meistens habe ich eine ganz bestimmte Szene im Kopf. Danach versuche ich, diese mit einem Kontext zu versehen. Mit der Ausarbeitung der Handlung entstehen dann zwangsläufig die Hauptfiguren, die die Geschichte tragen und vorantreiben. Aber bevor es bei meinem Debüt-Roman so weit war, musste ich mir darüber den Kopf zerbrechen, worauf die Geschichte am Ende hinauslaufen soll. Erst die Prämisse versetzte mich in die Lage, Struktur in den Plot hineinzubringen:

„Ein nützliches Werkzeug kann in den falschen Händen zur gefährlichen Waffe werden.“

So entstand allmählich das Gebilde zum Roman „Die Chronik von Calveron: Der Absolvent“. Die Szene mit Königin Marisela, die auf einer Anhöhe steht und auf eine brennende Stadt hinabblickt, war von Anfang an in meinem Kopf. Ursprünglich schwebte mir eine typische Fantasy-Geschichte vor, die auch mit fantastischen Wesen bevölkert ist. Doch landete ich beim Schreiben immer wieder in einer Sackgasse, so dass ich nicht über die ersten 120 Seiten hinauskam. Der Knoten platzte, als mir der Einfall kam, Termingeschäfte in den Fokus der Handlung zu rücken. Ich verabschiedete mich vom Gedanken, mir irgendwelche Wesen auszudenken und besann mich stattdessen auf eine der großen Stärken des Fantasy-Genres: die Projektion aktueller Themen auf eine fiktive Welt. Als ich das tat, wurde endlich ein Schuh draus. Dieser Ansatz genügte, um mein Werk zu Ende zu führen.

Jedes Buch stellt ein Großprojekt dar

Von der Idee zum Buch ist es mitunter ein langer Weg. Viele verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle. Neben einer natürlichen Affinität zum Schreiben ist gewiss auch ein hohes Maß an Beharrlichkeit von Vorteil. Aber auch eine strukturierte Arbeits- und Herangehensweise, wie die erwähnten vier Schritte, zahlen sich rasch aus.

Auf die Frage, wie man es trotz aller Widrigkeiten und Umstände geschafft hat, das Buch zu vollenden und zu veröffentlichen, lautet die Antwort der meisten Autoren schlicht: Weil ich es unbedingt wollte! Und weil ich an mich und meine Geschichte glaubte!


Nachtrag vom 06.04.2018:

Zufällig bin ich heute auf einen älteren Blog-Beitrag von Ron Kellermann gestoßen, in dem er sich ebenfalls mit den zentralen Entwicklungsmethoden einer Geschichte befasst und dabei eine genauere Aufteilung vorgenommen hat:

  • figurenorientiert (was dem erwähnten charakter-zentrierten Ansatz entspricht)
  • plotorientiert (was prinzipiell dem erwähnten plot-zentriertem Ansatz entspricht)
  • themaorientiert (was von mir über die Formulierung der Prämisse abgedeckt wurde)

Interessant fand ich bei der themaorientierten Entwicklungsmethode, dass sich Kellermann dabei in erster Linie auf „Werte“ bezieht. Außerdem verweist er bei seinem Beispiel auf die TV-Serie „The Wire“, die für mich ebenfalls zum Besten gehört, was ich bis dato an Serien gesehen habe.