Zum Buch: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur von Andrea Wulf

Zum Buch: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Um was geht es?

„Alles hängt mit allem zusammen. Alles ist Wechselwirkung.“ So ließe sich wohl vereinfacht die weitreichende Erkenntnis von Alexander von Humboldt zusammenfassen, der Zeit seines Lebens damit zugebracht hatte, sich die Geheimnisse und Zusammenhänge der Natur zu erschließen und sich darüber mit Gelehrten, Wissenschaftlern, Unternehmern, Künstlern und Herrschern auf der ganzen Welt austauschte. Und wie bei fast allem, was Alexander von Humboldt in Angriff genommen hatte, sprechen wir von schier unvorstellbaren Dimensionen. So soll er mindestens 30.000 Briefe verfasst haben. Hinzu kamen unzählige Werke, die sein Gedankengut und seinen Blick auf die Wunder der Natur einer breiten Leserschaft zugänglich machten. Dadurch gelang es ihm, dass sich seine Ideen in den Köpfen der nachfolgenden Generationen festsetzten und weiterentwickelten. Leider geriet sein Erbe trotzdem im Laufe der Zeit immer mehr in Vergessenheit. Da kam Andrea Wulfs Sachbuch gerade zur rechten Zeit, um diesem Trend entgegenzuwirken.

Meine Meinung

Ich will ehrlich sein: Abgesehen vom Namen wusste ich mit der Person Alexander von Humboldt kaum etwas anzufangen. Klar, sein Nachname findet sich vielerorts wieder, wie z.B. im Humboldtstrom oder im Humboldt-Pinguin. Doch ahnte ich nicht, was mir bislang entgangen war. Ich hatte keine Vorstellung davon, was ein Mensch in seinem Leben schaffen und bewirken kann, selbst wenn er ein stattliches Alter von fast 90 Jahre erreicht.

Auf diesen Missstand bin ich aufmerksam geworden, als auf Zeit Online der Artikel „Humboldts Welt“ erschien. Erstaunt erfuhr ich, was dieser Mann alles erlebt, gelernt, erfahren, erfunden und mit seinen Mitmenschen geteilt hat. Auf diesem Weg wurde ich auch auf die Autorin Andrea Wulf aufmerksam, die in ihrem Sachbuch auf über 400 dichtgepackten Seiten das bewegte Leben des Universalgelehrten und Genies ausleuchtet. Außerdem fasst sie in ihrem Werk weitere Persönlichkeiten ins Auge, die von und durch Humboldt maßgeblich geprägt worden sind und ebenfalls Bahnbrechendes auf ihrem Gebiet geleistet haben. Als Beispiel seien hier Charles Darwin oder Johann Wolfgang von Goethe genannt. Überhaupt scheint es, als hätten Alexander von Humboldt sämtliche Türen offen gestanden – nicht nur wegen seines Renommees, sondern auch wegen seines diplomatischen Geschicks. Stets gelang es ihm, sich Gehör zu verschaffen und seine ambitionierten Ziele voranzutreiben. Am Ende ist ihm nur ein Herzenswunsch versagt geblieben: Eine Expedition nach Indien und zum Himalaya, weil sich die Britische Ostindien-Kompanie gegen ihn sperrte aus Angst, er könnte die Zustände anprangern, die vor Ort herrschten.

Als besonders spannend empfand ich das erste Drittel des Sachbuches, indem es um Alexander von Humboldts Kindheit, seine Ausbildung und seinen Werdegang als Beamter geht. All das bereitet ihn letztendlich auf seine prägende Südamerika-Expedition vor, in der er sein erworbenes Wissen und seine Kenntnisse abrufen konnte, um zu bahnbrechenden Entdeckungen und völlig neuen Ideen zu gelangen. Dabei tritt er nicht nur als Naturforscher, Abenteurer, Botaniker, Geologe oder Bergsteiger auf, sondern setzte sich auch mit indigenen Völkern auseinander, deren Kultur und Lebensweise er überaus schätze. Zwar nahm er überall Messungen vor, doch dienten ihm diese Untersuchungen insbesondere dazu, seine Hypothesen zu untermauern. Stets suchte er nach jenen Zusammenhängen, jenem Wechselspiel, welches die Natur im Gleichgewicht hält. Dabei stellte Alexander von Humboldt aber auch wiederholt fest, welch zerstörerische Auswüchse die menschliche Gier annehmen kann, wenn das Augenmerk nur noch auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen liegt. So gelangte er zu Schlussfolgerungen, die rund zweihundert Jahre später nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

Als nicht ganz so fesselnd habe ich den mittleren Abschnitt des Sachbuches empfunden, in dem es vor allem darum ging, wie Alexander von Humboldt seine Ideen während seiner Aufenthalte in Paris und Berlin gesichtet, ausgearbeitet und verbreitet hat. Nichtsdestotrotz ist dieser Lebensabschnitt genauso wichtig, weil andernfalls sein Ruhm wohl nie solche Ausmaße angenommen hätte. Und dies wiederum versetzte ihn in die Lage, seine Pläne weiterzuverfolgen und seine sehnlichsten Träume wahr werden zu lassen. Seine unerschöpfliche Energie und sein nicht nachlassender Tatendrang beeindruckten mich dabei über alle Maßen.

Fazit

Bei „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ handelt es sich um ein herausragendes Sachbuch. Das liegt einerseits an Humboldts schillernden, ungemein vielseitigen Persönlichkeit, andererseits an seinem Gedankengut, mit dem der Naturbegriff einen ganz neuen Stellenwert erlangte, der nachfolgende Generationen nachhaltig prägte. Natürlich ist dies auch der Autorin zu verdanken, die den Stoff gleichermaßen unterhaltsam und faktenbasiert an den Leser bringt. Die ausgiebigen Recherchen, deren Nachweis knapp 100 Seiten im Anhang für sich beanspruchen, sprechen eine deutliche Sprache. Daher kann ich jedem nur wärmstens empfehlen, sich mit diesem Werk zu befassen. Wir reden von Umweltschutz, Artensterben, Klimaerwärmung, Ausbeutung der Natur – alles Themen, mit denen sich Alexander von Humboldt bereits vor zweihundert Jahren auseinandergesetzt hat. Er wusste um die Probleme, die mit der exzessiven Nutzung natürlicher Ressourcen einhergehen. Aber er wusste eben auch, dass der Mensch nur zu einer Einsicht gelangen würde, wenn er den Zauber der Natur für sich entdeckte. Dieses Sachbuch hilft dabei, diesen Zauber in uns wachzurufen.


Hinweis: Diese Kritik habe ich ebenfalls auf LovelyBooks eingestellt.